David Graeber ist Professor für Anthropologe. Und er ist Anarchist. Was sicher nicht ganz unschuldig daran war, dass die Eliteuniversität Yale 2007 seinen Vertrag nicht verlängerte. Jedenfalls unterrichtet der Amerikaner heute an der University of London. Der 1961 geborene Graber ist darüber hinaus auch politischer Aktivist, der sich seit Jahrzehnten – etwa bei den Demonstrationen gegen den WTO-Gipfel in Seattle 1999 – auf der Straße engagiert. Und Graeber ist einer von denen, die die eher vage Anregung der Leute um das Magazin Adbusters konkret vor Ort umzusetzen begann. Er zog mit einer Handvoll Aktivisten und seiner langjährigen Erfahrung als solcher Occupy Wall Street erst auf. Jetzt hat er ein Buch geschrieben über seine Erfahrungen mit OWS, die Politik der Bewegung und deren Perspektiven …

David Graeber spannt in seinem OWS-Buch, das in Kürze vermutlich gleichzeitig in den USA und hierzulande auf Deutsch erscheinen wird, einen schönen Bogen von den konkreten Ereignissen im September 2011 und deren Hintergründe über eine »verborgene« Geschichte der Demokratie und praktische Tipps für Aktivisten in aller Welt bis hin zu den Perspektiven von Besetzer-Bewegung und Gesellschaft an sich.

David Graeber wurde sowohl seiner immensen Erfahrung als Aktivist, seiner weltweiten Beziehungen als auch seines Twitter-Accounts wegen praktisch aus Not am Mann zur zentralen Schaltstelle der ersten Stunde. Entsprechend ist er auch der Mann, der wie kein anderer über diese ersten Tage zu berichten weiß.

Über den Bericht der ersten Tage von OWS hinaus gibt es einige Einblicke von Innen, wie etwa die Begründung dafür, dass New Yorks Gewaltige die Besetzer überhaupt so lange hat gewähren lassen:

Einem Journalisten zufolge, der während der ersten Tage von Occupy Wall Street zahlreiche Polizeibeamte und Vertreter der Stadt interviewte, machte den Verantwortlichen vor allem eines Sorgen: die Anwesenheit von Angehörigen des Hacker-Kollektivs Anonymous im Zuccotti Park, die in Guy Fawkes-Masken gekommen waren. Nach Aussage des Journalisten hatte man tatsächlich Angst, Anonymous würde einfach ihre Bank und Kreditkartenkonten hacken, wenn man das Lager stürmte und die Demonstranten vertrieb. Nicht zuletzt diese Befürchtungen hatten sie von der sofortigen Räumung des Lagers abgehalten.

Den größeren Teil des Buches freilich nehmen ausgesprochen interessante Betrachtungen über Demokratie an sich in Anspruch. Es stellt sich dem Uneingeweihten ja immer wieder die Frage, weshalb die Besetzer sich weigerten, konkrete Forderungen zu stellen und darüber mit dem bestehenden System zu verhandeln. Eine Frage, die Graeber ganz lapidar folgendermaßen beantwortet: dieses System ist so korrupt, dass es sich als Verhandlungspartner disqualifiziert hat. Und mit Sicherheit ist es keine Demokratie. Die jungen Amerikaner, die an der Besetzung teilnahmen, haben nach dem Willen dieses Systems praktisch ohnehin keine Zukunft; warum also nicht aufs Ganze gehen und nach anarchistischen Prinzipien basisdemokratisch parallel dazu ein neues aufbauen?

Hier begibt Graeber sich auf einen umfassenden Exkurs in die Geschichte der Demokratie oder dessen, was die Weltgeschichte als solche bezeichnet. Graber kommt dabei zu dem Schluss, dass es so etwas wie Demokratie sowieso nirgendwo dort gegeben hat, wo man sie gemeinhin vermuten würde; mit Sicherheit nicht in Amerika. Ganz im Gegenteil, haben die amerikanischen Gründerväter die Verfassung ausdrücklich so geschrieben, um »en Schrecken der Demokratie« vorzubeugen! Graeber geht dabei zurück ins Altertum, nachGriechenland und Rom, und zieht auch einige völlig unvermutete Beispiel heran wie etwa das durchschnittliche Piratenschiff des 17. Jahrhunderts – das weitaus demokratischer war als jeder Staat zuvor oder seither.

Schließlich macht Graeber sich an die Diskussion des zweiten zentralen Begriffs bei dem ganzen Problem, den der Arbeit, die er ganz neu definiert sehen möchte.

What would happen if we stopped acting as if the primordial form of work is laboring at a production line, or wheat field, or iron foundry, or even in an office cubicle, and instead started from a mother, a teacher, or care-giver, we might be forced to conclude that the really business of human life is not contributing towards something called “the economy” (a concept that didn’t even exist three hundred years ago), but the fact that we are all, and have always been, projects of mutual creation.

Was würde wohl passieren, hörten wir auf, die Arbeit am Fließband, auf dem Weizenfeld, in der Gießerei, ja selbst im Zellenbüro als fundamentale Form von Arbeit zu sehen, und stattdessen von der Arbeit einer Mutter, einem Lehrer oder einer Pflegekraft ausgehen? Wir sähen uns womöglich zu dem Schluss gezwungen, dass das eigentliche Geschäft des Lebens nicht darin besteht, zu einer »Wirtschaft« beizutragen (einem Konzept, das es vor hundert Jahren noch nicht mal gab), sondern dem Umstand Rechnung zu tragen, dass wir alle seit jeher Projekte gegenseitiger Schöpfung sind.

Zu guter Letzt beschäftigt Graeber sich mit den Alternativen: Anarchismus und Kommunismus, die er als Basis des anzustrebenden neuen System sehen will.

Wobei er freilich nicht von dem Kommunismus ausgeht, den Bürokraten konkret geschaffen haben oder was seine Kritiker als nichts funktionsfähig abtun. Für ihn definiert sich Kommunismus nach dem ursprünglichen Gedanken der Frühsozialisten: »Von jedem entsprechend seiner Fähigkeiten, für jeden entsprechend seiner Bedürfnisse« Er kommt dabei zu dem Schluss, dass der »Sprung« so groß gar nicht wäre. Warum? Weil wir im privaten Bereich ohnehin alle nach diese Maxime leben.

Nun, wie weit auch immer diese Basisbewegung in dieser Beziehung gedeihen mag, für mich als Übersetzer war die Arbeit wieder mal ausgesprochen interessant. Und auch etwas nervig. Nerviger als fast jede andere Übersetzung, die ich in den letzten dreißig Jahren als Profi besorgt habe.

Was sicher nicht zuletzt daran liegt, dass die Übersetzung in drei Wochen zu stehen hatte. Aber ich hatte auch für weit umfangreichere Bücher – wie etwa den Jeremy Rifkin-Titel letztes Jahr – nur 30 Tage, und trotzdem waren sie im Gegensatz zu diesem ein Spaziergang. Hier lag es vor allem daran, dass ich kein fertiges sprich regidiertes Buch vor mir hatte, sondern ein Manuskript, über dem der Autor selbst noch saß. Und es war ein Manuskript, in dem jemand voll der frischen Eindrücke von OWS sein ganzes Wissen über Aktivismus, Demokratie und Arbeit gepackt hat, und das mit einer Leidenschaft, wie man sie nur selten findet.

Das führte zu viel zu vielen veritablen Satzmonstern, die entweder grauenhaft verschachtelt waren oder sich auf die eine oder andere Weise in der grammatischen Sinnlosigkeit verlieren.

It quickly becomes apparent that communism—at least in its most attenuated form—is the basis of all amicable social relations, since, unless sociality of any sort always assumes a certain baseline communism, an understanding that, if the need is great enough (e.g., one is drowning) or the request small enough (a light, directions), these are the standards that will be applied.

Die immer wieder auftauchende Konstruktion »… that, if…« ist mit das erste, was einem bei so einer Übersetzung auf den Geist geht – ein an sich simpler Satz gerät durch die Bedingung immer komplizierter als nötig; hier kommt gar noch Geschwisterchen »since, unless…« im selben Satz vor. Das lässt ihn zu einer Art Escher-Treppe von einem Satz geraten, wenn man ihn konsequent verfolgt. Und als Übersetzer bleibt einem dummerweise nichts anderes übrig. Was soll man als Übersetzer machen, wenn schon der Autor sich verliert? Sicher, hart durchgreifen, Sinn reinbringen. Aber es ist anstrengend. Hat man den Knoten im Hirn dann gelöst und meint, aufatmen zu können, geht das Spiel im nächsten Satz wieder los.

Das Beispiel oben ist mehr ein Kopfzerbrecher. Größtenteils sind die Sätze in dem Buch jedoch durchaus korrekt, aber leider sehr lang und oft mehrfach ineinander verschachtelt. Und Schachtelsätze sind schwierig, weil man ihren Kern nur nach vorne oder nach hinten verschieben kann und damit der Anschluss entweder zum Satz vorher oder zum nächsten verloren geht. Im Englischen können solche Sätze durchaus durchgehen, aber das Deutsche ist etwas klobiger. Nicht von Haus aus, nicht wenn man vom Deutschen aus denkt, aber wenn man aus dem Englischen übersetzen muss… Im Prinzip gehören solche Kerne in Fußnoten oder anders gesagt, man sollte sie sich als Autor schenken, die Gedanken vielleicht notieren und anderweitig einflechten. Aber als Übersetzer ist man nun mal an den Text gebunden.

Aber was macht man mit einem Satz wie dem folgenden, wo die Emotionalität mit dem Autor durchgeht:

In the immediate wake of the trauma of eviction—people who had to deal with the vivid memory watching their library, so lovingly assembled, trashed and sent off to the incinerators by laughing patrolmen, of seeing their dearest friends beaten with sticks and shackled as the mainstream media dutifully refused to enter the perimeter, unable to do anything to help them, of being friends maced in the face having to face the prospect of life-long respiratory problems, having to scramble to finding housing for people’s whose life possessions, however modest, had been destroyed by agents of the state—led to a bubbling up of every conceivable tension and ill-feeling that had been repressed or ignored in the weeks previous when organizing and defending the camps had given us such obvious common purpose.

Hier ging, Sie haben’s richtig bemerkt, irgendwo das Subjekt verloren. Was aber nicht das schlimmste ist. Ich persönlich hoffe, dass das Lektorat in den USA den Satz rausschmeißt, weil der weinerlich-polemische Ton dieses einen Satzes dem ganzen Buch mehr schadet als nützt. Aber nochmal: Was macht man als Übersetzer mit so was? Nun, man versucht es so flüssig und lesbar zu machen, wie’s im Deutschen irgendwie geht. So rechten Spaß macht es keinen.

Da muss man sich immer wieder mal dran erinnern, dass das Buch an sich gut und wichtig ist. Ansonsten muss man eben durch. Flüssig bleiben, hier und da einen Satz zerlegen. Der deutsche Leser muss das Buch nicht übersetzen; wenn man den Text also mit dem einen oder anderen Trick so lesbar wie möglich hält, sollte keiner eion größeres Problem damit haben als der Leser des Originals. Außer dem Lektorat offensichtlich; da wurde wieder mal »dichterische Freiheit« angedroht. Womit, wie ich doch sehr hoffe, »stilistische Freiheiten« gemeint sind. Ich persönlich mag das nicht; als Übersetzer schon gleich gar nicht. Für mich ist es eine Unsitte, ein fremdes Buch auf den eigenen Horizont zusammenzustreichen. Das gilt doppelt für den zwangläufig aus dem Augenblick geborenen Horizont des Lektorats. Man braucht doch nur einen durchschnittlichen Suhrkamp-Titel zur Hand zu nehmen. Ich möchte niemandem was unterstellen, aber ich muss in so gut wie jedem dieser Bücher einen Satz öfter lesen – bis ich ihn eben verstehe. Niemand würde dran denken, Whitehead, Foucault & Konsorten auf seinen Horizont zurechtstutzen zu wollen. Aber so schnell, wie es gehen muss, werde ich den Text nicht mehr zu sehen bekommen. Da heißt es, Rechnung stellen und abnabeln. Und auf keinen Fall je ins fertige Buch schauen…

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